Gedanken zu Ständen

Ein Gedankenspiel zu Ständen im Kampfsport

Ein Kampfkünstler kennt viele davon – auch mit Namen. Viele aber kennt er namentlich nicht und macht sie trotzdem – rein intuitiv.  Die Rede ist von den in den Kampfkünsten vorhandenen Ständen und deren spezifischen Art der Körperhaltung. 


Die Vermutung liegt nahe, dass die Stände in den jeweiligen Kampfstilen situationsabhängig angenommen werden, mit der Absicht, sich zu schützen, Stabilität zu erreichen bzw. die Überbrückung großer Distanzen schnellstmöglich zu bewerkstelligen. Und dies ist nur mit Bewegung möglich. Aus einer defensiven Stellung in Verbindung mit einer Blocktechnik  in eine offensive Stellung, kombiniert mit einem Angriff, zu gelangen, bedarf langes Üben. Gleichgewicht, Muskelan- und Entspannung sowie deren richtige Verkettung sind nur wenige nennenswerte Punkte.


Die folgenden Ansätze spiegeln einen Grundgedanken von vielen wieder und beziehen sich  nicht nur ausschließlich auf die beschriebenen Positionen. Sie können auf viele andere Stände übertragen werden. Die Phantasie, der Wissensstand und das persönliche Können eines jeden einzelnen sind für das Verständnis der folgenden Ideen voraussetzend. Weiter sei vermerkt, dass es sich um rein technische Ideen und Ausführung der Stände handelt;  dass sie in einem Freikampf nicht starr und korrekt nach Vorgabe ausgeführt werden versteht sich von selbst. Abwehrtechniken bzw. Kontertechniken sind nicht Bestandteil des Blogs.


Einleitend soll die Unterteilung der Distanz kurz erläutert werden. Auf eine stilrichtungsspezifische Definition - und somit eventuell von der hier vorgestellten abweichende – wird nur hingewiesen.

Bodendistanz:

Kampf in der Bodenlage. Oft kontinuierlicher, aufeinanderliegender  Körperkontakt u.a. mit Schlägen zum Kopf sowie Grappling. Falls nur ein Kontrahent sich in dieser Position befindet, so muss er ebenfalls mit Tritten zum Körper und den Gliedmaßen rechnen. In diesem Artikel wird thematisch auf die Bodendistanz nicht eingegangen werden.

(Für Interessierte siehe auch  hier)

Bild entnommen aus: www.Kampflabor.com

Bild entnommen aus:

www.all4shooters.com

Nahdistanz:

Die Entfernung zwischen den Kontrahenten entspricht bis zu einer Länge des Oberarmes, ca. 30 cm. Der Bedrohungsfaktor ist sehr hoch, die persönliche, private Zone ist stark angegriffen. Das Sichtfeld ist sehr eingeschränkt, da der Gegner aufgrund der geringen Entfernung  nicht im Ganzen gesehen werden kann. Angriffe werden immer zu spät erkannt.

Lange Distanz:

Der Abstand entspricht ca. einer Beinlänge. Angriffe aus dieser Distanz sind im Vergleich zu den vorherigen seltener. Hierfür muss entweder die Entfernung überbrückt werden oder der Angriff beginnt mit einem Tritt. Die Absichten des Gegenübers können relativ schnell erkannt werden. Ein Tritt als Abwehrmaßnahme kann erfolgen bevor der Abstand zu gering wird.

Ferndistanz:

Abstand, bei dem die Kontrahenten sich aufeinander zu bewegen und bei dem die lange Distanz noch nicht erreicht ist. Entscheidungen über eine Kampfaufnahme oder Flucht können anfangs noch getroffen werden. Denken Sie daran: Flucht ist keine Schande!


Bild entnommen aus: www.youtube.com

In der Nahdistanz sind Angriffe mit dem Ellenbogen, Kinnhaken, direkter Schlag in die Magengrube (Ura-Zuki) oder ein direkter Kniestoß zu den Weichteilen sowie Würgen, Festhalten bzw. Klammern mit folgenden Kopfstößen und weiteren Angriffen möglich.


Ziehen wir als erstes Beispiel den Stand Heisoku-Dachi heran: ein geschlossener, paralleler Stand. Es liegt an der Hand, dass aus diesem Stand ein schnelles Ausweichen aber auch das Vorankommen und die Rückwärtsbewegung nicht optimal erfolgen kann. Dies ist u.a. mit der Lage des Körper-Schwerpunktes begründet: je höher der Schwerpunkt, umso instabiler und langsamer ist die Struktur in der Beschleunigung, also in der Bewegung.


Ein gutes Gegenbeispiel hierfür ist der Sprint eines Kurzstreckenläufers: um stark zu beschleunigen senkt er seinen Körper vor dem Start ab (siehe Videosequenz links) in dem er sich in die abgebildete Lage begibt. Läuft er los, so macht er anfangs kurze, im Abstoßen kräftige Schritte. Sein Oberkörper ist zu Anfang der Beschleunigungsphase in Laufrichtung geneigt und richtet sich mit steigender Geschwindigkeit auf, gleichzeitig nimmt die Beschleunigung ab. Bei der maximalen Geschwindigkeit des Läufers ist die Beschleunigung gleich Null – er macht lange Schritte.


Geht man nun davon aus, dass dieser Stand in einer SV-Situation eingesetzt würde, so sind dabei fast ausschließlich Armtechniken in Verbindung mit der Schwerkraft als eine Energiequelle für die Techniken möglich – und dies unter ungünstigen Verhältnissen. So ist es einleuchtend, dass ein Heisoku-Dachi in der SV, aber auch im Kumite, keine Anwendung findet.


Folgt man der Idee, die Stabilität im Stand zu erhöhen, so stellt der Heiko-Dachi, also der schulterbreite Stand, eine geringfügige und daher auch vernachlässigbare Verbesserung im Vergleich zu dem Heisoku-Dachi dar. Ändert man diesen aber ebenfalls nur etwas ab und betrachtet den so neu entstandenen Uchi-Hachiji-Dachi, bekannt aus vielen Wing-Chun Stilen und Bewegungsformen, so stellt man fest, dass durch die leicht nach innen gedrehten Knie der Tiefschutz wesentlich besser gegeben ist als bei einem Heiko-Dachi bzw. den später behandelten Kiba-Dachi.


Ein weiterer Vorteil des Uchi-Hachiji-Dachi in der Nahedistanz ist folgender: der Angreifer wird kaum versuchen, einen Tritt von außen nach innen zu den Beinen auszuführen („Lowkick“), da diese Technik in dieser kurzen Distanz für ihn unvorteilhaft ist. Sie bedarf eine längere Bahn sowie einen anderen Treffwinkel. Einen Tritt von innen nach außen hingegen können die angewinkelten Beine besser absorbieren und gefährden somit nicht die Standstabilität. Ein Ausweichen in diesem Stand ist ebenfalls möglich. Ein weiterer taktischer Vorteil ist die Minimierung der Angriffsfläche.


Der Kiba-Dachi bzw. der Shiko-Dachi (so auch alle anderen breiten Stände) sind in der Nahdistanz oft unvorteilhaft. Stünde beispielsweise der Verteidiger genau vor einem Angreifer in einer solchen Stellung, so ist ein Angriff auf die Weichteile mehr als nur wahrscheinlich. Auch hier gilt der Angriff mit dem „Lowkick“ von außen nach innen zur äußeren Beinseite als kaum praktikabel. Ein Treffer zur Beininnenseite zerstört augenblicklich die Struktur und das Ziel fällt zu Boden – dies gilt auch den Fegetechniken.


In der Mitteldistanz ist der gerade Fauststoß, der Schwinger, das Schubsen oder aber auch ein Tritt mit dem Schienbein zu den Weichteilen eine Angriffsmöglichkeit von vielen. Der hier erwähnenswerte Stand Hangetsu-Dachi verkörpert den Tiefschutz, die Stabilität gegen Tritte zur Beininnenseite und ermöglicht die Vorwärts- bzw. Rückwärtsbewegung (Ähnlichkeiten zu dem Stand eines Boxers sind gegeben). Auch gegen Nage-Techniken weist er bessere Eigenschaften als ein Kiba-Dachi auf, da die Kombination Fußstellung und Beinhaltung die Fegetechniken verhindern oder neutralisieren kann.


Ein Zenkutsu-Dachi eignet sich um Kräfte zu übertragen, welche z.B. durch das Schubsen oder bei der Ausführung eines Stoßes entstehen; das nach hinten ragende Bein dient dabei als Stütze.


Weitere oft in der mittleren Distanz angenommen Stände sind u.a. die passiven, bei denen eine Blocktechnik in Verbindung mit einem Ausweichschritt zur Seite oder nach hinten angenommen werden, so wie z.B. der Renoji-Dachi, Kokutsu-Dachi oder der ihm ähnliche Taiji-Dachi. [Bemerkung: in vereinzelten Stilrichtungen können diese Stände auf unterschiedliche Weise ausgeführt werden: die Fußausrichtung sowie die Standlänge variiert zum Teil sehr stark.] Eine Kontertechnik wird dann mit einer Standveränderung einhergehen. Hierfür wird das hintere Bein zwecks Kraftsteigerung des möglichen Stoßes gestreckt.


Für die lange Distanz und die Ferndistanz sind meist Stände vorgesehen, deren Eigenart einen schnellen Ortswechsel begünstigt. Hierfür ist der Körperschwerpunkt abgesenkt, was wiederum für eine schnelle Bewegung essenziell ist. Der Heisoku-Dachi kann als ein Gegenbeispiel hierfür herangezogen werden: durchgestreckte Beine und eine hohe Lage des Schwerpunktes. Als Angriffe sind Tritte (auch gesprungen) sowie Techniken, die lange Distanzen überbrücken können, möglich.


Ein Kiba-Dachi oder ein Shiko-Dachi sind die klassischen Vertreter der so angenommenen Stände. Die Beine sind angewinkelt, was ein schnelles Strecken und somit Vorankommen oder gar Springen ermöglicht. Betrachtet man die Kumite- oder gar die Tae-Kwon-Do Kämpfer, so werden die Vorzüge eines relativ breiten, situationsbedingt angepassten Standes sichtbar.


Eine Distanzüberwindung kann in Form von Schritt- bzw. Laufbewegungen, Gleiten oder Sprüngen erfolgen. Je länger ein Kampfsportler sich in dieser Materie übt, umso größer ist sein Repertoire an Möglichkeiten und umso fehlerfreier und schneller nimmt er die gewünschte Position ein. Oft sind es Bruchteile von Sekunden, in denen er dann in einem Stand verharrt oder ihn in einer Reihe von Bewegungen, als Momentaufnahme, ausführt. Die richtige Wahl des Standes entscheidet über das Gelingen oder Misslingen einer Technik, sei es in einer Partnerübung oder im Kumitebereich. Das Optimum einer jeden Technik ist nur in einer bestimmten Entfernung möglich: ist die Distanz zu klein gewählt, kann sich die Kraft nicht entfalten; ist sie zu groß, wird das Ziel nicht erreicht.



... Seite weiter im Aufbau, ergänzendes Bildmaterial folgt in Kürze.


Schauen Sie auch hier rein, wie Distanzen in anderen Stilrichtungen definiert und geübt werden: Die Wing Tsun – Kampfdistanzen